Preisrede Bündnis für Demokratie und Toleranz

Anlässlich der Preisverleihung: Aktiv für Demokratie und Toleranz 2003
Im Römer

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Roth,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Hartenbach,
sehr geehrter Herr Arnold,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Initiative,

Für die Verleihung des Preises möchte ich mich im Namen der Intitative 9. November beim Bündnis für Demokratie und Toleranz sehr herzlich bedanken. Wir haben uns darüber sehr gefreut, die finanzielle Unterstützung hilft uns unmittelbar, demnächst im Bunker eine Ausstellung durchzuführen. Vor allem aber verstehen wir die öffentliche Auszeichnung als Anerkennung der langjährigen Arbeit unserer Gruppe und wir verstehen sie als Aufforderung, diese Arbeit weiter fortzusetzen. Ich möchte Ihnen unsere Vorstellungen, Ziele und unser Selbstverständnis hier noch einmal kurz darstellen.
Imre Kertesz hat kürzlich erklärt, daß wir noch immer in jener „Weltordnung des Hasses“ leben, die Auschwitz ermöglicht hat. Viele Menschen behaupten, daß wir das nicht ändern, daß wir aus Geschichte nicht lernen können. Wenn wir uns deshalb lediglich auf Gesten der Trauer, der Belehrungen und Selbstbelehrungen, Mahnungen und den Bau von Mahnmalen beschränken, so ist das falsch, zu resignativ gedacht und getan, bringt die Reaktionen in zu große Nähe zu Beerdigungskultur. Die „Weltordnung des Hasses“ macht vielmehr lauten Widerspruch, Nachforschungen und Handeln erforderlich, denn sie ist menschengemacht und kann deshalb auch von Menschen geändert werden. Es ist erforderlich, Gedenkstätten zu schaffen, aber darüber hinaus ist immer neu – aus der von neuem Wissen angereicherten Perspektive der Gegenwart betrachtet- zu erklären, wie der Menschenhaß erzeugt und vergesellschaftet wird, auf welchen innerseelischen und sozialen Grundlagen er beruht. Veränderung ist möglich, wenn herausgearbeitet und bewußt gemacht wird, welche Impulse die Zerstörung suchen und – ein Aspekt, der viel zu wenig beachtet wird – wie sich diese Impulse ständig verschleiern, um in Latenz wirksam, auf Wiederholung bedacht sprungbereit bleiben zu können.
Wenn sich die Initiative 9. November jetzt vorrangig um die Umnutzung und Veränderung des Bunkers in der Friedberger Anlage bemüht, dann deshalb, weil sich an diesem Ort die verschiedenen Linien der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem Bemühen um ein menschliches Zusammenleben sowie der Intoleranz und Menschenfeindschaft wie in einem Brennpunkt zusammenziehen und Substanz geworden sind. Es geht um ein Enthüllen sozialer und psychologischer Bedeutungsschichten, die von zwei Bauwerken repräsentiert werden. Die unsichtbare zerstörte Synagoge steht für das Gehäuse der vernichteten jüdischen Gemeinde Frankfurts und zwar speziell der Israelitischen Religionsgesellschaft, die – so klein sie auch immer war, doch – ich zitiere Rachel Heuberger – „so bedeutend gewesen ist durch ihre geistige Einstellung, für das, was sie der Welt und der jüdischen Welt gegeben hat: Es ist die Symbiose von Deutschtum und Orthodoxie“. Mit diesem Entwurf wird die Israelitische Religionsgesellschaft auch für das Verständnis gegenwärtiger Probleme hochbedeutsam und lehrreich.

Die Gründung dieser Gemeinde stellte einen letztlich als radikal zu bezeichnenden Integrationsversuch dar, der heute, nach der Shoa nicht mehr denkbar erscheint. Anders als im Falle der Assimilierung, ging es hier um eine Bestreben, die Verpflichtung des Einzelnen sowohl dem Staatsgedanken gegenüber wie in Bezug auf die Religion miteinander in Einklang zu bringen, dem Kaiser zu geben was des Kaisers ist und Gott zugeben, was Gottes ist, (darin also – wie man vielleicht sagen kann – einem bestimmten christlichen Modell folgend). Es ging nicht mehr nur um Freiheit und Gleichberechtigung der Staatsbürger, auch nicht nur um eine bloße Toleranz des anderen Glaubens, sondern um die Koexistenz als gleichwertige Religionen. Dieses Projekt war von der Hoffnung gegründet, daß sich die Geschichte der Verfolgung und Ausgrenzung auch der orthodoxen Juden in Deutschland endgültig beenden und eine Jahrhunderte lange pathologische Objektwahl der Deutschen – den Juden als Sündenbock zu wählen – endgültig auflösen werde. Im Rückblick ist zu beobachten, daß sich schließlich eine zwar leise, aber folgenreiche Änderung der religiösen Orientierung, die sich – wenn man Architektur so lesen darf – sogar in der baulichen Gestaltung der Synagoge niederschlug. Wenn Ruth Lapide die klassischen Schwerpunkte des religiösen Judentums im Bild einer „Ellipse“ mit zwei Brennpunkten beschrieben hat, so tendierte die Israelitische Religionsgesellschaft als neo-orthodoxe Gruppierung zu einer Änderung des Diasporakonzeptes, indem sie Frankfurt zum religiösen Epizentrum Jerusalems machen wollte. Das hieß, der religiösen Tradition an einem wirklichen Ort eine mehr als nur virtuelle Heimat zu verschaffen. Das war, meine ich, eine radikale Hoffnung, die diese Gemeinde auszeichnet.

Betrachtet man das auf dem Hintergrund der vorhergehenden langen traumatischen Verfolgungsgeschichte der Juden, so muß man sagen: was für ein großes Vertrauen in diese Stadt, was für eine Ehre für die Frankfurter! Und dann: welch ein Verrat dieses Vertrauens, welch eine Schande die Zerstörung der Synagoge und der Gemeinde und was für ein Schandmal der 1942 auf den Grundmauer der Synagoge errichtete Bunker, der diese Zerstörung bis heute versiegelt!

Im Krieg war er Zufluchtsort für die vom Bombenkrieg Bedrohten, ein Gehäuse, das den Menschen versprach, sie zu schützen, ihre Angst zu mildern. Aber eben auch darin wieder mitleidlos geteilt. Nichtdeutschen, Zwangsarbeitern, die ihn erbauten und den in der Stadt noch lebenden Juden war der Zutritt untersagt. Rückt man die Ereignisse zusammen, so sieht man, wie jene vor dem Feuer der Phosphorbomben, vor einer möglichen Verbrennung zu dem Ort flüchteten, an dem die Ihrigen gar nicht lange zuvor die Synagoge vernichtet hatten, durch ein Feuer, das schon damals den Menschen galt. Daß der Bombenkrieg gegen die Deutschen die Quittung, die Folge ihres Menschenhasses war, der sich nun gegen sie selbst wendete, das wollen bis heute viele nicht wahrhaben. Die Geschichte des Bunkers in der Friedberger Anlage steht für diese Wahrheit, sie ist hier gewissermaßen angehalten und fixiert worden.

Der Bunker, nach dem Krieg lange Zeit als Floh-Markt genutzt, wurde 1988 als ABC-Schutzbau hochgerüstet und wird seither für den Fall eines Krieges bereitgehalten. Indem das Gebäude heute den Schutzbunker-Anteil sichtbar werden läßt, können die monströsen Ereignisse nur noch von wenigen Menschen aus ihren Lebenserinnerungen zurückgeholt werden. Mehr und mehr wird das, was war, nur noch durch Vorstellungsakte bewußt, die aus einem mühsam erarbeiteten Wissen stammen. Das was heute sinnlich sichtbar ist, wird damit zur toten Deckfigur, zur Erinnerungssperre. „An etwas zu erinnern“ oder „in Erinnerung zu rufen“, ist nun Arbeit geworden, und das in wörtlichem Sinn.

Erinnern ist an Tun gebunden. Das paßt zur Theorie, nach der das Machen oftmals geradezu dessen Bedingung ist, insbesondere dann, wenn sich die historischen Ereignisse gegen das Erinnern wehren, wenn die Erlebnisse und das damit verbundene eigene Verhalten verleugnet werden will. Dann kann es oft nur – wie die Psychoanalytiker dazu sagen – „prozedural“ erschlossen werden. Das ist der Sinn unserer praktischen Vereinsarbeit.
Ich möchte aber festhalten, daß die Widerstände nicht nur störend sind, sie erhellen auch rückwirkend die historischen Abläufe. In den Widerständen „leuchten“ eben jene seelischen Tendenzen „auf“, die das Geschehen der Vergangenheit mit hervorriefen und sich nun noch immer als lebendige Kräfte erweisen und beobachtbar sind. Das macht die Widerstände lehrreich. Von daher sind wir auch froh und dankbar, daß wir Gelegenheit bekommen haben, die Arbeit der Initiative durch ein psychoanalytisches Forschungsprojekt, das am Sigmund-Freud-Institut Frankfurt angesiedelt ist, begleiten zu lassen.

Das praxis-orientierte Tun hat aber noch einen weiteren, auf uns selbst bezogenen Gewinn: Zu leicht neigen wir dazu, wegzuschauen, Dinge hinzunehmen und dann unser vermeintliches Nichtwissen zu rationalisieren. Durch das Tun legen wir uns fest. Erst dadurch stärken wir uns soweit, daß es dann gelingt, nicht nur guten Willen hervorzurufen, sondern die Köpfe, Verhalten und die Gegenstände zu verändern.
Die Gründerinnen und Gründer der Initiative haben von Anfang an gefordert, daß an der Friedberger Anlage ein Ort lebendigen Lebens und Lernens entstehen soll. Dazu gehört, daß die vom Bunker architektonisch verdeckten historischen Schichten, wieder sichtbar und zugänglich werden, für alle unsere Sinne. Durch die unveränderte Einbindung in das Zivilschutzprogramm ist das bisher ausgeschlossen. Daher ist es dringend erforderlich, den Bunker aus dieser Zweckbestimmung herauszunehmen:
Diese Bitte richten wir direkt an das Innenministerium und wir bitten auch um Ihre, um weitere öffentliche Unterstützung.

Wir sind der Ansicht, daß hier kein verschlossener Ort, nicht lediglich Mahnmal oder Gedenkstätte, kein Museum entstehen sollte. Der Raum ist groß und bietet Platz für vieles. Wie dies dann architektonisch gestaltet wird, wie das Veränderte in diesem Sinne schließlich genutzt werden sollte, das können wir nicht angeben. Besser: wir wollen es nicht, denn das muß gemeinsam in einem Prozeß heraus gefunden werden. Das vorrangige Ziel der Initiative ist es, einen weitergehenden öffentlichen Findungsvorgang anzuregen und in Gang zu bringen. Aber eines muß u. E. am Ende sichtbar und lebendig werden, daß den Erniedrigungen und der Zerstörungswut, die dieser Ort repräsentiert, an diesem Ort auch widersprochen wird.

Ich habe dies alles erwähnt, um Sie anzuregen, unsere weitere Arbeit aktiv oder noch aktiver zu unterstützen. Wir sind wenige und brauchen Mitarbeiter und natürlich brauchen wir Geld. Diese Unterstützung haben wir bisher aber auch gefunden, der Preis ist ja ein Beleg dafür. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit danken und zwar allen, die in der Initiative bisher mitgearbeitet haben und mitarbeiten, allen, die uns bisher geholfen, unterstützt und ermutigt haben: Erlauben sie mir bitte, daß ich zwei Personen stellvertretend nenne, nämlich für die Stadt Frankfurt, Herrn Stadtrat Nordhoff und Herrn Branddirektor Ries, dem Leiter der Frankfurter Feuerwehr. Wir danken dafür, daß sie sich für unsere Sache immer wieder eingesetzt und sie voran gebracht haben und die auch weiter tun werden.

Jetzt wird Ihnen Frau Dr. Scheunemann von der Initiative kurz die weiteren Vorhaben der Gruppe vorstellen. Wir haben gerade Beate Scheunemann – wenn ich auch das hier noch anfügen darf – außerordentlich viel zu verdanken, ohne ihr Engagement wären wir heute nicht da, wo wir sind. Darüber schließlich, daß Sie alle heute zu der Preisverleihung in den Römer gekommen sind, freuen wir uns sehr, vielen Dank auch Ihnen.

Dr.med. Wolfgang Leuschner
(Vorsitzender der Initiative)