Kurt Grünberg, Initiative 9. November
Gestatten Sie mir bitte einige teils auch persönliche Vorbemerkungen, die – ausgehend vom Affekterleben – auf die „archäologische Spurensuche“ abzielen, die im Zentrum des heutigen Abends steht. Die dahinterliegenden Konzepte kann ich hier lediglich kurz erwähnen:
- Initiative 9. November: nach Börneplatz-Konflikt 1987 authentischer Ort zur Vergegenwärtigung der NS-Geschichte
- Yolanda Gampel: Metapher der „radioaktiven Verstrahlung“
- Konzept des Szenischen Erinnerns der Shoah zur Erforschung der transgenerationalen Trauma-Tradierung
Un-Ort, Tat-Werkzeug, Tat-Ort
- Die Zerstörung der Synagoge der IRG, die Verfolgung seiner Mitglieder und das Errichten eines Hoch-Bunkers an eben dieser Stelle haben aus der Friedberger Anlage 5-6 einen Un-Ort gemacht. Der Bunker selbst ist in gewisser Weise zu einem Tat-Werkzeug geworden.
- Wir befinden uns heute an diesem Tat-Ort, der auf uns wirkt.
- Über diese Wirkungen möchte ich kurz sprechen.
Abreißen, umgestalten, erhalten?
- Jahrelang bestand ich darauf, dass eine herbeizuführende Beschädigung des Bunkers Teil einer umfassenden Umgestaltung dieses Ortes sein muss.
- Heute sehe ich das anders: nicht nur erhalten, sondern frühere „archäologische Spuren“ sichtbar machen…
- Den Affekt, den Bunker abzureißen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Es wäre jedoch töricht, diesem Affekt zu folgen.
Ver-Weigerung und Hass
- Seit wir Ausstellungen präsentieren, weigere ich mich, den in unserer Initiative so genannten „Bunker-Dienst“ auszuüben (eher oberflächliche, aber auch tieferliegende Gründe)
- Ich hasse diesen Bunker, weil er in gewisser Weise die Verfolgung und Vernichtung der Juden symbolisiert (Hitler „prophezeite“ am 30.1.1939: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“)
- Ich empfinde eine gewisse Einfühlungs-Verweigerung in die Menschen, die in Nazi-Bunkern Schutz vor Bombenangriffen suchten, insbesondere seit ich weiß, dass Zwangsarbeiter – die diesen Bunker errichteten – und Juden bei Bombenangriffen keinen Einlass fanden. Dies galt auch für meine Mutter, die als von den Nazis erklärte „Halb-Jüdin“ den Bomben immer wieder schutzlos ausgeliefert wurde.
Berührt sein
- Berührt war ich, als einige Besucher Kipot aufgesetzt haben.
- Und ein einziges Mal war ich – in diesem Bunker – zu Tränen gerührt, als der Kantor Yoni Rose das „Uvnucho Yomar“ (zum Einheben der Thora) sang, komponiert von Louis Lewandowski (3.4.1821 bis 4.2.1894)
- Ich benenne diese persönlichen Affekte, weil sie – im Sinne eines szenischen Erlebens – unmittelbar zu diesem Ort gehören. Die Zerstörung der Synagoge entfaltet trotz des über ihren Grundmauern abgeladenen Tonnenschweren Betons ihre Wirkungen. Diese Spuren müssen sichtbarer werden.
- Für uns als Initiative 9. November geht es darum, die „archäologische Spurensuche“ an diesem Ort weiter voranzutreiben. Dafür können die Arbeiten von Wolfgang David und die Kooperation mit ihm wegweisend sein.