Aufruf der Initiative

Eine Forderung nach Halle: die Fundamente der Synagoge Friedberger Anlage in Frankfurt sind endlich auszugraben und öffentlich zu zeigen. Warum?


Das Bild der etwa 20 Einschusslöcher in der Tür der Synagoge in Halle dringt nicht nur in unsere Phantasien und in unsere Sprache ein, sondern trifft körperlich. Die Schüsse sind „ins Herz“ gegangen, wie Anton Jakob Weinberger sagt. Das ist mehr als eine Metapher. Was der Täter in Halle beabsichtigte und zu einer Aktion zusammenzog – die Ermordung von Gläubigen plus Zerstörung der Synagoge – erfolgte 1938 hier am Ort der Friedberger Anlage zweischrittig. Erst ging es um die Zerstörung des Bauwerkes. Was sich zunächst gegen Steine richtete, meinte aber schon damals die körperliche Vernichtung von Menschen und zielte auf den Genozid. Noch ging es um eine Ersatzhandlung, eine Verschiebung der Vernichtungsabsicht von Mensch auf Sache. Die Zerstörungswut richtete sich auf ein sakrales Gebäude, weil es mit menschlichen Aspekten aufgeladen war, so wie auch die auf jüdischen Friedhöfen umgestürzten Grabsteine Menschen meinen und eine Schändung menschlicher Körper bedeuten.


Das haftet auch immer noch den Fundamenten der zerstörten Synagoge an, verborgen z.T. unter unseren Füßen. Sie freizulegen hieße, einen besonderen Nacherlebensprozess herbeizuführen, mit unseren Körpern in eine Verbindung treten zu können und zu fühlen, auf wen die Zerstörung zielte. Wie die zerschossene Tür hätten auch sie die Kraft, Phantasien und Gefühle zu erregen. In diesen nacherlebten Schreckensszenen ergänzen wir Ort und Menschen durch unsere eigene Person und unsere eigene Geschichte, erfahren aber auch, dass die Verbrechen zeit- und grenzenlos sein wollen. Durch diese Ausgestaltung mit Persönlichem werden sie noch einmal wahr und gegenwärtig und zwingen uns, uns eindeutig gegen Antisemitismus zu engagieren und gesellschaftskritisch zu handeln.
So ist für uns das Bild der zerschossenen Synagogentür in Halle ein zwingender Anstoß, auf eine fortdauernde Erinnerungs- und Aufklärungswirkung der Fundamente der zerstörten Synagoge an diesem Ort hinzuweisen. Besser als vieles andere würde ihre Ausgrabung sicht- und fühlbar machen, was war und immer wieder sein will, sich ständig fortsetzen möchte und jetzt wieder fortgesetzt hat. Es würde den Zusammenhang von Verbrechen (das der Bunker repräsentiert), seine Wirkungen und letztlich den hier bis in den Holocaust führenden Impuls zeigen. Es würde den Ort Friedberger Anlage zu einem kritischen Stachel in der Stadt und auch in der Republik machen. Deshalb bitten wir Sie, die Ausgrabungen der Fundamente der Synagoge der IRG zu unterstützen.

Initiative 9. November e.V.
20.10.2019
Wolfgang Leuschner