Erinnerung Braucht Zukunft

Die Adresse Friedberger Anlage 5-6 steht sowohl für die Vielfalt jüdischen Lebens in Frankfurt am Main als auch für dessen Zerstörung. Hier fanden Brandstiftung und Vernichtung der Synagoge unter den Augen der Frankfurter Bevölkerung statt. Ausgerechnet hier erfolgte 1942/43 die Errichtung eines Schutzbunkers als Zufluchtsort vor dem Bombenkrieg.

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Nutzungs- und Gestaltungskonzept der Initiative 9. November für den Ort der ehemaligen Synagoge an der Friedberger Anlage

Seit Gründung der „Initiative 9. November“ vor mehr als 20 Jahren hat sie die Frage beschäftigt, was aus dem Ort des Bunkers in der Friedberger Anlage werden könnte, konkret, mit welchen Mitteln ein lebendiger Ort des Gedenkens, des Lernens und der Begegnung zu erreichen ist, ein Ort, der zukünftig der Dokumentation der Geschichte und Wirkung der nationalsozialistischen Verfolgung in Frankfurt und der Bedeutung der Israelitischen Religionsgesellschaft gewidmet ist und ein Ort des  Handelns gegen Rassismus und Antisemitismus.

Nachdem feststand, dass der Bunker aus dem Zivilschutz „entlassen“ worden ist und sich die Stadt Frankfurt bei der Bundesregierung um seinen Erwerb bemüht, hat die „Initiative“ konkrete Vorschläge zur Nutzung des Bunkers erarbeitet. Es bleibt unser Ziel, diesen besonderen Ort zum Sprechen zu bringen und seine Geschichte und deren sich überlagernde Schichten und Bedeutungsebenen offen zu legen: die Israelitische Religionsgesellschaft und ihre ehemalige Synagoge, ihre Zerstörung während der Novemberpogrome und die Errichtung des Bunkers wie dessen Nachkriegsgeschichte.

Das Gebäude

Das Bunkergebäude ist ein monolithischer Klotz aus Stahlbeton. Er misst 40 mal 20 Meter und ragt 16 Meter aus der Erde. Er birgt sechs Geschosse – ein Untergeschoss, ein Erdgeschoss und vier Obergeschosse. In den Ecken liegen vier Treppenhäuser, von denen die östlichen nur bis ins 2. Obergeschoss führen. An den Ecken befinden sich die vier Eingänge, die, als Druckschleusen ausgebildet, mehrfach verwinkelt sind. Die Außenwände sind 1,60 m dick und die oberste Schutzdecke 2,50 m. Die Geschosse weisen jeweils knapp 600 Quadratmeter Nutzfläche auf. Insgesamt beträgt diese also etwa 3.000 qm – ohne das Untergeschoss, in dem sich die Lüftungsmaschinen und ein riesiger Luftfilter befinden. Im Zuge der Nachrüstung Ende der 80er Jahre ist der Bunker mit Beleuchtung, Lüftung und Sanitärräumen ausgestattet worden.

Künftige Nutzung: Ort der Erinnerung, der Debatte, des Lernens und der Begegnung

Ergebnis unserer Sondierungen und Debatten ist die Überzeugung, dass der Bunker ein wichtiger Teil des Netzwerks über den Nationalsozialismus darstellen sollte. Unsere Vorstellung ist – in enger Kooperation mit den übrigen kulturellen Institutionen, vor allem mit dem JüdischenMuseum – unter dem Titel „Ort der Erinnerung, der Debatte, des Lernens und der Begegnung” verschiedenartige Räume einzurichten, wobei der rohe, abweisende Charakter des (fensterlosen) Bunkers erhalten bleiben sollte.

Unser Konzept sieht im Einzelnen vor:

  • Schaffung eines Saales zur Durchführung verschiedener Veranstaltungen etwa mit Schulklassen, für Lehrerfortbildung, oder auch Filmvorführungen
  • Räume für Dauer- und Wechselausstellungen über die Verbrechen der NS-Zeit in Frankfurt, vor allem über die Deportationen aus Frankfurt (in Kooperation mit dem Jüdischen Museum), aber auch zu aktuellen Themen von Flucht und Vertreibung sowie Migration in Frankfurt
  • Räume für Archive und Forschungsarbeit sowie für Dokumentationen (beispielsweise würde Joachim Carlos Martini das “Archiv Jüdische Musiker und Musikerinnen in Frankfurt” gerne einbringen.)
  • einen großen Tagungs-, Büro- und Archivraum für die „Initiative 9. November“
  • darüberhinaus Räume für ähnliche Frankfurter Initiativen wie den „Studienkreis deutscher Widerstand“ und das “Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt“.

Der Bunker soll unter der Betonung von Differenz und Vielfalt eine wichtige Rolle für die Stadtgesellschaft spielen. Inhaltlich aber soll weniger ein „musealer“ Ort sondern ein „sozialer“ Ort geschaffen werden.

Die architektonische Umgestaltung des Bunkers bedarf einer längerfristigen Planung.

Wir schlagen allerdings schon jetzt eine kleine, machbare Umgestaltung des vorderen Bunkerterrains als erste Stufe vor, die auch auf die augenblicklich äußerst unwirtliche Situation entlang der vielbefahrenen, lauten Straße reagiert.

  • Freilegung eines Großteils der hinteren Synagogenfundamente, die sichtbar und zugänglich gemacht werden sollen.
  • Einfriedung des Grundstücks etwa durch die Einrichtung eines ruhigen Vorhofs, der so auch besser für Veranstaltungen genutzt werden könnte. Die Einrahmung des Geländes könnte in einer einfachen zwei Meter hohen Mauer bestehen.
  • Alternativ dazu wäre zur Abschirmung des Grundstücks und zur Schaffung eines ruhigen Vorplatzes auch eine transparente, von der Straße aus einsehbare Lösung denkbar: eine massive Glaswand, die zugleich Bild- und Schriftträger zur Bezeichnung des Ortes und derart Teil eines „Lernpfades“ sein könnte.
  • Die Einrichtung eines Lernpfades um den Bunker herum: An den Außenwänden des Bunkers sollen große Fotos und Tafeln angebracht werden. Diese permanente Freiluftausstellung behandelt Themen wie:  
    – Frankfurter jüdisches Leben bis 1938 
    – Bilder und Zeugnisse der Zerstörung 
    – Jüdisches Leben nach 1945.
  • Bezug zu Großmarkthalle als Ausgangspunkt der Deportationen: Von der Friedberger Anlage 5 – 6 führt der „Lernpfad“ weiter zur Großmarkthalle. Er zeichnet den Weg nach, den die Deportierten gegangen sind: Hanauer Landstraße/Uhlandstraße bis zur Ostendstraße/ Sonnemannstraße. 

An ausgewählten Stellen werden Informationstafeln angebracht, z.B.    
– in der Ostendstraße 18 zur Haftstätte der Gestapo, in der seit dem Frühjahr 1943 die letzten jüdischen Frankfurter inhaftiert waren,   
– Uhlandstraße/Ecke Weiherstraße über die umliegenden Ghettohäuser. Der Lehrpfad führt schließlich von dort zum geplanten Mahnmal am Stellwerk der Großmarkthalle.

Langfristig:   ein architektonisches Zeichen setzen

Die „Initiative“ ist sich einig über das fernere Ziel, nach der Realisierung eines Nutzungskonzepts langfristig auch eine bauliche Umgestaltung des Bunkers anzugehen. Genauer gesagt: es muss ein deutliches architektonisches Zeichen gesetzt werden, ein Zeichen, das irritiert und die vielschichtigen Ebenen der Geschichte aufbricht.

Wir halten einen Lichtkeil für ein besonders geeignetes Mittel zum Zweck. Der Lichtkeil öffnet den Bunker, zerstört seine Funktion als Schutzraum und macht gleichzeitig seine bauliche Struktur sichtbar. Dabei wird deutlich, was 1,60 m dicke Betonwände bedeuten. Man weiß das zwar von den Plänen her, aber was sind 1,60 m erst in der Realität! Mit diesem Keil wird das Kriegsbauwerk „entbunkert“. Wir zeigen: Es ist ein Bunker gewesen, es kann nie wieder ein Bunker sein.

Der Lichtkeil übernimmt aber auch wichtige praktische Funktionen. Er bringt Licht und Luft in das Bunkerinnere, er nimmt im Erdgeschoss den Eingang auf und eröffnet auch die Möglichkeit, im Untergeschoss einzelne Reste der Synagoge zu sehen und zu erreichen. Er wird zum zentralen, mehrstöckigen Raum.

Wie wird es im Innern des Bunkers aussehen? Da gibt es zunächst helle, natürlich belichtete Bereiche um den Lichtkeil herum und dunkle. Das hat eine einfache Zonierung zur Folge. Während im Hellen sich Plätze des Arbeitens und Zusammentreffens befinden, liegen im Dunkeln Ausstellungs- und Archivräume. In der Mitte könnte durch die partielle Wegnahme von ein oder zwei dünnen Geschossdecken ein kleiner Veranstaltungssaal für verschiedene Nutzungen entstehen, also für Filme, für Vorträge, für Lesungen oder für Debatten. Dieser Saal könnte im Grund- und Aufriss eine freie, eigenständige Form aufweisen. Er bildete den neuen Kern des Gebäudes.

Einbeziehung der direkten Umgebung: Das Heine-Denkmal

Schließlich ist das Bunkergelände besser mit dem städtischen Raum zu verbinden. Augenblicklich ist der Bunker aus der Friedberger Anlage fast nicht zu sehen. Starker Bewuchs verhindert die Sicht. Das war nicht immer so. Ursprünglich lag die Synagoge sogar in einer Sichtachse von der Zeil her. Ein geradliniger Weg führte dorthin. Beim Betrachten alter Stadtkarten fällt noch eine weitere, den Stadtraum gestaltende Komposition auf. Im Jahre 1913, also sechs Jahre nach der Einweihung der Synagoge, wurde als Pendant zu ihr auf der Nordseite der Zeil das Heinrich-Heine-Denkmal, das erste öffentlich zugängliche in Deutschland, aufgestellt – Heine im einst jüdischen Viertel.

Auf der Zeil blickte man aus der Stadt kommend geradeaus auf das Uhrtürmchen und jeweils im selben Winkel nach rechts auf die Synagoge und nach links auf das Heine- Denkmal. Eine städtebauliche Konzeption. Das Heine-Denkmal, von Georg Kolbe entworfen, zeigt nicht, wie damals üblich, den Dichter, sondern als Allegorie seine Dichtkunst: einen tanzenden jungen Mann vor einer lagernden jungen Frau. Von den Nazis gleich nach der Machtübernahme geschändet, überlebte das Denkmal wie ein Wunder im Garten des Städels und wurde 1947 in der Taunusanlage wieder aufgerichtet.

Nun ist von offizieller Seite vorgeschlagen worden, das Heine-Denkmal wieder zurückzuholen. Der alte Standort ist allerdings inzwischen durch einen Erdgascontainer verbaut. Daher wurde die Idee geboren, es in Blickbeziehung zum Bunker auf der Südseite der Zeil aufzustellen. Dies soll anlässlich der notwendigen Grundsanierung der Friedberger Anlage geschehen. Bei dieser Sanierung soll die Präsenz des Bunker-Synagogen-Orts deutlich hervorgehoben und möglicherweise auch ein gesicherter Überweg über die Fahrbahn geschaffen werden. So jedenfalls lauten die Vorschläge, die während einer Begehung mit Vertretern der Stadtverordneten, des Ortsbeirats, des Grünflächenamts und des Kulturamts entwickelt worden sind. Aus unserer Sicht ist das ein gelungener Ansatz, den Bunkerort enger in die historische Stadtlandschaft einbeziehen zu können.

Abschliessend sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das hier vorgelegte Nutzungskonzept der Initiative 9. November je nach Realisierungsmöglichkeiten und -mitteln schrittweise zu entfalten ist. Es ist nicht abgeschlossen, sondern als Prozess zu verstehen, zukunftsoffen für Modifikationen.

Initiative 9. November e. V.

Frankfurt am Main, im September 2009

Musik als Form geistigen Widerstandes

Band 1

Joachim Carlos Martini
Musik als Form geistigen Widerstandes 1
Jüdische Musikerinnen und Musiker 1933-1945.
Das Beispiel Frankfurt am Main
Texte, Bilder, Dokumente

Unter Mitarbeit von Birgit Klein und Judith Freise

Eine reich illustrierte zweibändige Dokumentation der Verfolgung, aber auch des Widerstandes jüdischer Musikerinnen und Musiker in Frankfurt am Main unter der Naziherrschaft. Da Frankfurt neben Berlin das Zentrum jüdischen Musiklebens in Deutschland war, hat Martinis Werk exemplarische Bedeutung.

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