War da was? Frankfurt am Main im Nationalsozialismus

Die Initiative 9. November ist Teil des Frankfurter Netzwerks für Erinnerungskultur und wir freuen uns die folgende Veranstaltung anzukündigen:

Fr 30. und Sa 31.10.2020

Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist keine allein staatliche und institutionelle Aufgabe, sondern ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Gerade hier in Frankfurt haben in den letzten Jahrzehnten privat organisierte Initiativen einen wertvollen Beitrag geleistet. Die Tagung, organisiert vom Frankfurter Netzwerk für Erinnerungskultur, möchte diese Arbeit sichtbar machen.

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Gedenkveranstaltung 9. November zusammen mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt

Um vielen Nachfragen bezüglich unserer jährlichen Gedenkfeier zum 9. November am ehemaligen Ort der Synagoge Friedberger Anlage 5/6 nachzukommen, möchten wir Euch/Ihnen die wichtigsten Informationen dazu mitteilen. Auch wenn zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren durch die Pandemie unsere Planungen nicht umgesetzt werden können, eine eigene Veranstaltung nicht durchführbar ist, so öffnen wir doch selbstverständlich ab 14 Uhr unsere Ausstellungen im Bunker.

Ausgerichtet wird die Gedenkfeier in diesem Jahr von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt; Im Namen unserer Initiative wird Dr. Kurt Grünberg sprechen. Von unserem Mitglied Dr. Marc Grellert werden virtuell erstellte Filmbilder der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft großflächig zu sehen sein. Am Ort der Gedenkstätter fanden die ersten Gedenkfeiern überlebender Jüdinnen und Juden nach der Shoah in Frankfurt statt.

Weitere Informationen und Programm der Jüdischen Gemeinde

Leider kann wegen der aktuellen Situation die Veranstaltung so nicht stattfinden. Wir arbeiten an einem alternativen Konzept.

Vorschau Synagogenausstellung

Marc Grellert: Ausstellung „Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion“ ist in Vorbereitung

Kern der Ausstellung sind digitale Bilder und animierte Kamerafahrten, die die einstige Pracht der Synagogen zeigen. Gleichzeitig erinnert sie an die Umstände der Zerstörung und die Vertreibung und Ermordung der Juden in Deutschland. Eingeleitet wird die Ausstellung mit einem Überblick zur Geschichte jüdischer Sakralarchitektur vom Tempel in Jerusalem bis hin zu den Bauten im 20. Jahrhundert in Deutschland. Hierauf folgen die drei Bereiche „Wahrnehmung“, „Eskalation“ und „Rekonstruktion“.

Nun soll sie dauerhaft ihr Domizil in Frankfurt erhalten. Als Ort hierfür ist der Bunker an der Friedberger Anlage vorgesehen. Er wird als Gedenkort durch die „Initiative 9. November“ betrieben und beherbergte in zwei Stockwerken bereits verschiedene Ausstellungen zur NS-Zeit oder jüdischer Geschichte mit Schwerpunkt auf Frankfurt. Geplant ist, das zweite Obergeschoss für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die virtuellen Synagogen dort zu präsentieren.

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Einige einführende Bemerkungen vor der Vorstellung von Dr. Wolfgang David: Archäologische Spurensuche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern: Buchenwald – Flossenbürg – Mauthausen – Mühldorf – Kaufering – Dachau

Kurt Grünberg, Initiative 9. November

Gestatten Sie mir bitte einige teils auch persönliche Vorbemerkungen, die – ausgehend vom Affekterleben – auf die „archäologische Spurensuche“ abzielen, die im Zentrum des heutigen Abends steht. Die dahinterliegenden Konzepte kann ich hier lediglich kurz erwähnen:

  • Initiative 9. November: nach Börneplatz-Konflikt 1987 authentischer Ort zur Vergegenwärtigung der NS-Geschichte
  • Yolanda Gampel: Metapher der „radioaktiven Verstrahlung“
  • Konzept des Szenischen Erinnerns der Shoah zur Erforschung der transgenerationalen Trauma-Tradierung

Un-Ort, Tat-Werkzeug, Tat-Ort

  • Die Zerstörung der Synagoge der IRG, die Verfolgung seiner Mitglieder und das Errichten eines Hoch-Bunkers an eben dieser Stelle haben aus der Friedberger Anlage 5-6 einen Un-Ort gemacht. Der Bunker selbst ist in gewisser Weise zu einem Tat-Werkzeug geworden.
  • Wir befinden uns heute an diesem Tat-Ort, der auf uns wirkt.
  • Über diese Wirkungen möchte ich kurz sprechen.

Abreißen, umgestalten, erhalten?

  • Jahrelang bestand ich darauf, dass eine herbeizuführende Beschädigung des Bunkers Teil einer umfassenden Umgestaltung dieses Ortes sein muss.
  • Heute sehe ich das anders: nicht nur erhalten, sondern frühere „archäologische Spuren“ sichtbar machen…
  • Den Affekt, den Bunker abzureißen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Es wäre jedoch töricht, diesem Affekt zu folgen.

Ver-Weigerung und Hass

  • Seit wir Ausstellungen präsentieren, weigere ich mich, den in unserer Initiative so genannten „Bunker-Dienst“ auszuüben (eher oberflächliche, aber auch tieferliegende Gründe)
  • Ich hasse diesen Bunker, weil er in gewisser Weise die Verfolgung und Vernichtung der Juden symbolisiert (Hitler „prophezeite“ am 30.1.1939: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“)
  • Ich empfinde eine gewisse Einfühlungs-Verweigerung in die Menschen, die in Nazi-Bunkern Schutz vor Bombenangriffen suchten, insbesondere seit ich weiß, dass Zwangsarbeiter – die diesen Bunker errichteten – und Juden bei Bombenangriffen keinen Einlass fanden. Dies galt auch für meine Mutter, die als von den Nazis erklärte „Halb-Jüdin“ den Bomben immer wieder schutzlos ausgeliefert wurde.

Berührt sein

  • Berührt war ich, als einige Besucher Kipot aufgesetzt haben.
  • Und ein einziges Mal war ich – in diesem Bunker – zu Tränen gerührt, als der Kantor Yoni Rose das „Uvnucho Yomar“ (zum Einheben der Thora) sang, komponiert von Louis Lewandowski (3.4.1821 bis 4.2.1894)
  • Ich benenne diese persönlichen Affekte, weil sie – im Sinne eines szenischen Erlebens – unmittelbar zu diesem Ort gehören. Die Zerstörung der Synagoge entfaltet trotz des über ihren Grundmauern abgeladenen Tonnenschweren Betons ihre Wirkungen. Diese Spuren müssen sichtbarer werden.
  • Für uns als Initiative 9. November geht es darum, die „archäologische Spurensuche“ an diesem Ort weiter voranzutreiben. Dafür können die Arbeiten von Wolfgang David und die Kooperation mit ihm wegweisend sein.

Aufruf der Initiative

Eine Forderung nach Halle: die Fundamente der Synagoge Friedberger Anlage in Frankfurt sind endlich auszugraben und öffentlich zu zeigen. Warum?


Das Bild der etwa 20 Einschusslöcher in der Tür der Synagoge in Halle dringt nicht nur in unsere Phantasien und in unsere Sprache ein, sondern trifft körperlich. Die Schüsse sind „ins Herz“ gegangen, wie Anton Jakob Weinberger sagt. Das ist mehr als eine Metapher. Was der Täter in Halle beabsichtigte und zu einer Aktion zusammenzog – die Ermordung von Gläubigen plus Zerstörung der Synagoge – erfolgte 1938 hier am Ort der Friedberger Anlage zweischrittig. Erst ging es um die Zerstörung des Bauwerkes. Was sich zunächst gegen Steine richtete, meinte aber schon damals die körperliche Vernichtung von Menschen und zielte auf den Genozid. Noch ging es um eine Ersatzhandlung, eine Verschiebung der Vernichtungsabsicht von Mensch auf Sache. Die Zerstörungswut richtete sich auf ein sakrales Gebäude, weil es mit menschlichen Aspekten aufgeladen war, so wie auch die auf jüdischen Friedhöfen umgestürzten Grabsteine Menschen meinen und eine Schändung menschlicher Körper bedeuten.

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